ostTalk bei ostPost

Seit längerer Zeit brennt dir ein ganz bestimmtes Thema auf der Seele? Du wolltest schon immer einmal über polnisches Theater, die slowenische Geschichte oder estnische Gesangskunst sprechen? Und das alles in einem gemütlichen Rahmen, der dich wohlfühlen lässt und dir den Druck nimmt, der dich an Vorträge aus der Uni oder deinem Schul-oder Arbeitsalltag erinnert?

 Dann zeige uns die Dinge aus Deinem Blickwinkel.    osttalk

Wir möchten dich zu Wort kommen lassen! Mit deinem Vortrag zum Thema Osteuropa. Ganz entspannt. Mit interessierten Zuhörern, die dir Feedback geben. Und einer gemütlichen Wohnzimmeratmosphäre mit Kaffee, Tee und Kuchen.

Wir suchen Interessierte, die ca. 20 Minuten über ein Thema ihrer Wahl sprechen möchten. Dein Thema sollte mit Osteuropa verknüpft sein. Dabei ist es dir überlassen, ob du über Kultur, Politik, Geschichte oder gern auch andere Themen sprechen möchtest!   Wenn du Lust bekommen hast, dein ganz individuelles Wissen mituns zu teilen, dann bewirb dich jetzt für unsere Veranstaltung “ostTalks” per E-Mail unter buecher@ostpost-berlin.de! Wir freuen uns sehr über deine Vortragsideen und auch für organisatorisches Feedback haben wir ein offenes Ohr, denn unsere Veranstaltung ist ein Experiment und auch wir sind da Pioniere.

„ostTalks“ werden zum allerersten Mal in Kürze in der Buchhandlung ostPost berlin, Dolziger Straße 39, stattfinden. Den genaueren Termin besprechen wir mit dir!

Bis bald!

Dein Team von ostPost berlin.

 

 

Rezension zum Film “Much Loved“

Der neue Nabil Ayouch Film “Much Loved“ (2015) erzählt die Geschichte von vier Frauen, die in Marrakesch ihre Lebensunterhalt mit Prostitution verdienen. Noha ist alleinerziehende Mutter, die das Geld für ihre Kinder und alte Mutter braucht. Soukaina lebt in ihrer eigenen imaginären Welt, wo nur die Liebe herrscht und wo sie auf ihren Prinz wartet. Randa hat weniger Bock auf Prostitution und zwingt sich mit allen täglich auszugehen. Hilma ist schwanger und wurde von dem Vater ihres Kindes verlassen, so sucht sie eine Absteige, die die anderen Drei ihr geben.

Jede mit eigenen Träumen und Erwartungen, sind diese Frauen dazu gezwungen, Tag für Tag allen Wünschen ihrer Kunden zu folgen. In knapp zwei Stunden werden zahlreiche weibliche Kniffe gezeigt, die den arabischen Frauen helfen, am Leben zu bleiben. Das Genre des Films kann man sicher dem Drama zuordnen.
Themen des schwierigen arabischen Alltags, der Gleichgültigkeit, Armut und Gewalt sind für Ayouch nicht neu: die Protagonisten/innen in seinen früheren Filmen wurden diesen Problemen auch gegenüberstehend dargestellt. In „Much Loved“ hat der Regisseur die Prostitution in Marokko ganz offen dargestellt und dementsprechend die Diskussion über das Frauenbild in der arabischen Welt auf das neue Niveau erhoben. Das Niveau wurde so hoch, dass die Hauptdarstellerin Loubna Abidar für ihr exzellentes Spiel nach Frankreich flüchten musste und dass der Film in Marokko verboten wurde und seine Premiere in Cannes in 2015 mit zahlreichen öffentlichen Protesten in Tunesien einhergegangen war. Die ganzen medialen Diskussionen um das widersprüchliche Bild der arabischen Frau haben „Much Loved“ mit momentanem Sold out versorgt.

"Much Loved" (c) ALFILM

“Much Loved” (c) ALFILM

Wobei die Prostitution schon ein übliches Motiv in der Filmkunst ist, macht Ayouch daraus etwas neues und stellt das in den arabischen Kontext, was für den westlichen Zuschauer eher ungewöhnlich zu sein scheint. Dank der allgemein verbreiteten Bilder von Arabern, kontrastieren die vier Protagonistinnen sehr stark mit der gewohnten Vorstellung über die arabische Frau.

Noha trägt ihr Tuch nur, wenn sie Familie ihre besucht, von der sie getrennt wohnt. Die Männer sind hier keine Versorger – durch den ganzen Film wird gezeigt, wie Männer Frauen behandeln: respektlos, grob, in manchen Szenen bloß tierisch. Die Frauen in „Much Loved“ haben nur ihren Fahrer Said auf den sie sich verlassen können oder wer ihnen hilft. Auch die Polizei in Marokko kann die Frauen nicht wirklich beschützen. Aber in diesem scheinbar düsteren Dunkel menschlicher Beziehungen bleibt immer noch ein Platz, wo die vier Prostituierten sich selbst fühlen können und vor den anderen keine Angst haben müssen – in ihrer Wohnung, wo die verführerischen Vier wohnen.

"Much Loved" (c) ALFILM

“Much Loved” (c) ALFILM

Das ist tatsächlich sehr interessant, wie Ayouch als ein Mann, die weibliche Seele und ihre Sorgen verstanden konnte und diese auf die Leinwand übertragen hat. Zwischen den Vieren herrscht eine Harmonie, die sie, egal was passiert, ständig in sich tragen. Das ist der entscheidende Moment, der diesen Film von allen anderen solcher Thematik unterscheidet (z.B. „Lilja 4-ever“, 2002; oder russischer Film „Точка”, 2005). Der Nachgeschmack ist angenehm, “Much Loved” hinterlässt kein schlechtes Gefühl. Das ist eine berührende Geschichte über die echte weibliche Freundschaft, die man egal wo auf der Erde finden könnte. Bei Nabil Ayouch wickelt sich die Handlung ganz konkret in Marokko ab und dadurch wird man dem westlichen Auge mehr Denkanstöße über die Frauenposition in arabischen Ländern gegeben. Allein deswegen ist dieser Film sehenswert. Über das ausgezeichnete Spiel aller vier Darstellerinnen kann man lange schreiben, jedoch ist es besser, sich den Film einfach selbst anzusehen.

von Volha Karas

Diese Filmkritik entstand innerhalb des von ostPost berlin und EastWest e.V. durchgeführten Workshops „Nächster Halt – Filmkritiker/in!“ im Rahmen des Projekts „WIR HIER! Kein Platz für Muslimfeindlichkeit in Europa – Migrantenorganisationen im Dialog“ im Frühling/Sommer 2016. Diese Veranstaltung bestand aus fünf inhaltlichen Treffen und vier Kinobesuchen bei dem Arabischen Filmfestival ALFILM. Während des Workshops wurden die Fähigkeiten des Schreibens einer Filmkritik sowie Kenntnisse über die Darstellung der Minderheiten in den Medien vermittelt. Das Projekt “WIR HIER!” wurde durch das Bundesprogramm „Demokratie leben! Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert und von der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration kofinanziert.

Filmkritik zu Nabil Ayouchs “Much Loved”

Marokko, Frankreich – 2015, 103 Min. Mit Loubna Abidar, Asmaa Lazrak, Halima Karaouane, Sara Elhamdi Elalaoui und Abdellah Didane.

Verschleiert, unterwürfig, scheu – so stellt man sich in Europa meistens eine arabische Frau vor. Doch diese gängigen Stereotypen werden in Nabil Ayouchs Film Much Loved untergraben. Der französisch-marokkanische Regisseur erzählt von vier Prostituierten in Marrakesch, die sich durchs Leben schlagen.

Noha, Randa und Soukaina verdienen Geld, indem sie ihren Körper an reiche saudische und europäische Touristen verkaufen. Ihre Vorgeschichte wird nicht erzählt, was die Frauen zur Prostitution gezwungen hat, erfährt der Zuschauer nur andeutungsweise.

"Much Loved" (c) ALFILM

“Much Loved” (c) ALFILM

Man taucht sofort in die Welt der käuflichen Liebe ein. Es wird gekokst, geschminkt und geplaudert. Das Trio macht sich für den Abend fertig. In der nächsten Szene sieht man sie in schönen Kleidern und hohen Schuhen vor einer Luxus-Villa vorfahren. Am Steuer sitzt Said, ihr treuer Bodyguard und Chauffeur, der sie von einer Nachtschicht zur anderen fährt.

Die nächsten zehn Minuten zeigen eine wilde Party-Szene: Dutzende Frauen lachen, tanzen, bewegen sich wie Katzen auf allen vieren über den Boden, trinken Shots, springen in den Pool und scheinen Spaß zu haben. Ist es nur ein Schauspiel, um mehr Geld zu verdienen und gleichzeitig Schuldgefühle zu unterdrücken? Schließlich bedeutet der Job nicht nur ungezügelte Freiheit, die in der arabischen Welt durch strikte gesellschaftliche Normen den meisten Frauen verboten ist, sondern auch Erniedrigung. Die „gefallenen Frauen“ haben keinen Schutz. Es gibt keine Tabus und keine Verantwortung im Umgang mit ihnen. Selbst von der Polizei werden sie ausgebeutet.

Neben den ausführlichen Bildern aus ihrem Arbeitsalltag, zeigt Nabil Ayouch seine Protagonistinnen auch in anderen Rollen – als liebende Mütter, innige Freundinnen und ganz einfach Menschen, die Träume haben. So will Noha ihrer Mutter und ihren beiden Kindern ein besseres Leben bieten. Rührend ist eine Szene, in der sie ihre Familie besucht – mit Kopftuch und schwarzem Gewand. Man sieht keine entschlossene, starke Noha mehr, sondern eine fürsorgliche Tochter und liebende Mutter, die aber verachtet und verstoßen wird. Das Geld soll sie weiterhin beschaffen, aber nicht mehr zu Hause erscheinen, damit der Ruf der Familie nicht beschädigt wird. Randa, erfährt der Zuschauer, interessiert sich eigentlich für Frauen und träumt von einem Leben in Spanien. Doch ihre Pläne, ein neues Leben in Europa anzufangen, scheitern an der Bürokratie. Soukaina, im festen Glauben an die angebliche Liebe ihres Freiers Ahmed, verlässt ihren mittellosen Freund, der sie ohnehin nur noch ausgenutzt hat. Aber auch dieser Handlungsstrang hat kein Happy End und die Frau landet mit starken Verletzungen im Gesicht im Krankenhaus. Hilma, ein schwangeres Mädchen aus dem Dorf, schließt sich als vierte dem eingespielten Trio an. Sie wird letztendlich ihr Kind verlieren. Ungeachtet aller Schwierigkeiten halten die Frauen zusammen und träumen weiter. „Was siehst du? Ein Flugzeug. Und wohin fliegt es? Zu einer fernen Insel. Da sind wir ehrbare Frauen. Und die Männer behandeln uns wie Damen.“

In diesem Dialog steckt die politische Botschaft des Films. Im Gegensatz zu den gängigen Bildern, stellt Nabil Ayouch entschlossene, Widerstand leistende arabische Frauen dar, die gegen patriarchalische Strukturen kämpfen. Ihre Lebensweise ist ein Protest gegen die Unterdrückung der Frauen durch die Männer im Orient. Einen besonderen Wert erhält dieser Protest durch die Tatsache, dass er nicht von der Perspektive der westlichen Frauenrechtsaktivisten ausgeht, sondern unmittelbar von den Opfern des Systems erzählt.

Das Drama thematisiert eine Reihe von sozialen Problemen wie Sextourismus, Kinderprostitution, Korruption, Unterdrückungssysteme, wirtschaftliche Armut. Trotz der schonungslosen Inhalte entbehrt Much Loved nicht einer gewissen Komik und schafft es, Optimismus auszustrahlen. Der Zuschauer verlässt den Kinosaal nicht mit einem bedrückten Gefühl, sondern mit dem Glauben an echte Freundschaft und mit der Hoffnung, dass Noha, Randa, Soukaina und Hilma irgendwann ihr Glück im Leben finden werden.

"Much Loved" (c) ALFILM

“Much Loved” (c) ALFILM

Dieser Glaube wird jedoch leider enttäuscht, wenn man erfährt, dass Much Loved in Marokko einem Aufführungsverbot unterliegt und die Hauptdarstellerin Loubna Abidar nach mehreren Morddrohungen nach Frankreich auswandern musste.

von Maria Dyakonova

Diese Filmkritik entstand innerhalb des von ostPost berlin und EastWest e.V. durchgeführten Workshops „Nächster Halt – Filmkritiker/in!“ im Rahmen des Projekts „WIR HIER! Kein Platz für Muslimfeindlichkeit in Europa – Migrantenorganisationen im Dialog“ im Frühling/Sommer 2016. Diese Veranstaltung bestand aus fünf inhaltlichen Treffen und vier Kinobesuchen bei dem Arabischen Filmfestival ALFILM. Während des Workshops wurden die Fähigkeiten des Schreibens einer Filmkritik sowie Kenntnisse über die Darstellung der Minderheiten in den Medien vermittelt. Das Projekt “WIR HIER!” wurde durch das Bundesprogramm „Demokratie leben! Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert und von der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration kofinanziert.